Fachkräftesicherung
Die Fachkräftesicherung ist eine politische Priorität der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten (Rat der Europäischen Union und Europäischer Rat). Aufgrund des demographischen Wandels herrscht in vielen Branchen ein gravierender Mangel an qualifizierten Beschäftigten, der durch die Anforderungen der digitalen und grünen Transformation noch verstärkt wird (vgl. Engpassanalyse der BA). Auch im ESF Plus des Bundes hat daher die Fachkräftesicherung einen hohen Stellenwert und wird auch mittelfristig eine der wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen bleiben (ESF Plus-Bundesprogramm: 11).
In der Mittelfristprognose des Fachkräftemonitorings für das BMAS wird die demografische Entwicklung als Wachstumsbremse bezeichnet, die zu Engpässen in bestimmten Berufsgruppen führt: „In den kommenden fünf Jahren wächst die Bevölkerung in Deutschland nur noch leicht von 84,41 Mio. im Jahr 2022 auf 84,82 Mio. Personen im Jahr 2027 (…). Die Zahl der Erwerbspersonen und der Erwerbstätigen stagniert dagegen nahezu (…). Im Bereich der Gesundheit und der Pflege werden wegen einer steigenden Zahl von Älteren mehr Arbeitskräfte benötigt, gleichzeitig sinkt wegen der Verrentung des bislang aktiven Personals und fehlendem Nachwuchs die Zahl der möglichen Arbeitskräfte weiter“ (BMAS 2023: 54). Diese Entwicklung ist keineswegs auf den Gesundheits- und Pflegebereich beschränkt, sondern betrifft nahezu alle Branchen unterschiedlich stark.
Strategien zur Lösung des Fachkräfteproblems bestehen vor allem darin, bisher auf dem Arbeitsmarkt nicht oder zeitlich nur in geringem Umfang aktive Menschen zu mobilisieren und ihr Arbeitsvolumen zu erhöhen, darunter
- vor allem Frauen aus der Nichterwerbstätigkeit oder in Teilzeit,
- Menschen mit Migrationsgeschichte, insbesondere Frauen,
- Menschen mit Behinderungen, insbesondere Frauen,
aber auch in der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland (vgl. Destatis/WZB/BiB 2024: 127).
Mit Blick auf die Personengruppen, die potenziell zur Bekämpfung des Fachkräftemangels beitragen sollen, wird sichtbar, dass diese bisher stark von struktureller Ungleichheit und Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt betroffen sind. Daher ist es wichtig, nicht einseitig auf die Qualifizierung der Menschen für die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu fokussieren, sondern gleichzeitig zum Abbau von Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft sowie von negativen Anreizen wie etwa dem Ehegattensplitting beizutragen.
Beides - die Qualifizierung und der Abbau von strukturellen Benachteiligungen - wird im ESF Plus durch eine konsequente Anwendung der bereichsübergreifenden Grundsätze Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Ökologische Nachhaltigkeit unterstützt.
Nur wenn Gleichstellungsziele und -aspekte, z.B. die ökonomische Unabhängigkeit (vgl. Fraunhofer IAO 2024), in Strategien zur Fachkräftesicherung integriert werden, nur wenn konsequent darauf hingewirkt wird, Diskriminierungen zu verhindern und ein offenes Arbeitsklima für alle zu schaffen, und nur wenn ökologische und digitale Zukunftsthemen zielgruppenadäquat adressiert werden, kann im Wettbewerb um dringend benötigte Fachkräfte ein Vorteil für Unternehmen und Arbeitnehmer*innen entstehen.
Die Gleichstellung der Geschlechter wird im ESF Plus z.B. durch die Stärkung der Teilhabe von Frauen in ihrer Vielfalt auf dem Arbeitsmarkt und die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verfolgt (ESF Plus-Bundesprogramm: 11). Auch wenn diese Ansätze sinnvoll sind, sollten Programme und Projekte auch weitere Geschlechterungleichheiten adressieren, wie z.B. den Abbau des Gender-Pay-Gap, die Feminisierung von Armut, Geschlechterstereotypen (in der Berufswahl, auf dem Arbeitsmarkt, in Unternehmen), die Bekämpfung von Sexismus in der Gesellschaft und der Arbeitswelt und nicht zuletzt die egalitäre Verteilung von unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern.
Aus der Perspektive der Antidiskriminierung geht es in erster Linie darum, zu mehr Chancengerechtigkeit und dem Abbau von Diskriminierung beizutragen. Im ESF Plus sollen spezifische Maßnahmen umgesetzt werden, um von Diskriminierung, sozialer Ausgrenzung und Armut betroffene Bevölkerungsgruppen zu fördern – vor allem mit dem Ziel einer stärkeren Teilhabe dieser Gruppen am Arbeitsmarkt. Hierzu gehört neben der Förderung der Deutschkenntnisse von Neuzugewanderten und der effizienten Anerkennung ausländischer Abschlüsse vor allem auch die Etablierung einer echten betrieblichen Willkommenskultur sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderung gut in den Unternehmen arbeiten können. Fachkräfte können nur gewonnen und gehalten werden, wenn sie sich gleichberechtigt und vor Diskriminierung geschützt in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz beteiligen können, wenn sie gute, barrierearme Arbeitsbedingungen vorfinden und sich wirklich willkommen fühlen.
Auch mit Blick auf die Ökologische Nachhaltigkeit kommt der Fachkräftesicherung eine bedeutende Rolle zu. Ohne das Finden und Binden von Fachkräften (durch Aus- und Weiterbildung, Qualifizierung und Einwanderung inkl. der Anerkennung von Abschlüssen und Qualifikationen sowie Maßnahmen zur Verringerung der Abwanderung) werden die Herausforderungen der sozial-ökologischen und digitalen Transformation nicht zu meistern sein. Das Vorhandensein qualifizierter Fachkräfte in den sogenannten „Green Jobs“ und in vielen herkömmlichen Berufen, in denen ökologische Aspekte eine zunehmend wichtige Rolle spielen, sind einer der Schlüssel für ihr Gelingen (vgl. UBA 2024). Hierzu können im ESF Plus etwa im Sinne der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) eine nachhaltigkeitsorientierte Kompetenzentwicklung gefördert und klimaschutzrelevante Berufsfelder fokussiert werden.
Um dem Fachkräftebedarf nachhaltig zu begegnen, führt kein Weg an den bereichsübergreifenden Grundsätzen vorbei. Wer sich aktiv mit den Querschnittsthemen auseinandersetzt und nachhaltige Ansätze zur Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter, zum Abbau von Diskriminierung und zur Sensibilisierung, Bildung und Kompetenzentwicklung für die Bewältigung der sozialökologischen Transformation entwickelt, wird im Wettbewerb um dringend benötigte Fachkräfte im Vorteil sein.
Anmerkungen:
Als Fachkraft werden hier Arbeitskräfte mit in Deutschland anerkannter abgeschlossener Berufsausbildung oder beendetem Hochschulstudium bzw. als gleichwertig anerkannten ausländischen Abschlüssen verstanden. Obgleich je nach Region und Branche auch ein Mangel an geringqualifizierten Arbeitskräften besteht, stehen Fachkräfte hier im Fokus, da die Bedeutung qualifizierter Tätigkeiten für die Anforderungen der heutigen und zukünftigen Arbeitswelt und für den sozial-ökologischen und digitalen Wandel stetig zunimmt.
Dezember 2024
Dateien zum Download
Links zum Thema
BMAS (2022): Fachkräftestrategie der Bundesregierung
BMAS (2023): Fachkräftemonitoring - Mittelfristprognose bis 2027
Bundesagentur für Arbeit: Engpassanalyse
Destatis/WZB/BiB (2024): Sozialbericht 2024
Fraunhofer IAO (2024): Strategierahmen für die ökonomische Gleichstellung 2030
IAB-Themenseite zum Fachkräftebedarf
UBA (2024): Fachkräfte für die sozial-ökologische Transformation