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Menschen mit Einwanderungsgeschichte

Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Fluchthintergrund sind eine der größten Zielgruppen des ESF Plus. In der letzten Förderperiode (2014 - 2020) waren die Hälfte aller Teilnehmenden Migrant*innen (ESF Durchführungsbericht 2022). Ein Teil der Menschen mit Zuwanderungsbiographie ist von Armut, sozialer Ausgrenzung sowie Benachteiligung und Diskriminierung beim Zugang zum und auf dem Arbeitsmarkt betroffen. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Aspekte aus der Perspektive der Querschnittsthemen im ESF Plus bei der Förderung der Zielgruppe besondere Beachtung finden sollten.

Die Definitionen dieser Gruppen und verwendete Begriffe sind nicht einheitlich und Daten und Statistiken unterscheiden sich je nach erfassten Merkmalen. Viele der amtlichen Statistiken differenzieren nur nach Staatsangehörigkeit. Der mittlerweile weit verbreitete Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ umfasst alle Personen, die selbst oder von denen mindestens ein Elternteil nicht mit der deutschen Staatsangehörigkeit geboren wurde. Dieser Begriff fasst viele Menschen zusammen, deren Lage nicht vergleichbar ist. Da dies zu Stigmatisierung beitragen kann, ist das Konzept umstritten. So wird z.B. das statistische Bundesamt in Zukunft davon abrücken und „Menschen mit Einwanderungsgeschichte“ erfassen; dies sind Personen, die entweder selbst oder deren beide Eltern nach 1950 zugewandert sind.

Auch wenn die neue Begrifflichkeit enger und damit genauer ist, weil sie Kinder binationaler Ehen nicht mehr umfasst, bleibt nach wie vor ein differenzierterer Blick erforderlich: Zu unterschiedlich sind die Ausgangsbedingungen und Lebenswirklichkeiten von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, je nachdem, aus welchen Ländern sie kommen, welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung sie haben, wie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten sind, aus welchen Gründen sie bzw. ihre Eltern eingewandert oder nach Deutschland geflohen sind und welche finanziellen Ressourcen, sozialen Netzwerke und welchen Bildungshintergrund sie haben. Wenn im folgenden unterschiedliche Begriffe für die Zielgruppe verwendet werden, so liegt dies vor allem daran, dass Daten vielfach nur für das Merkmal Staatsangehörigkeit vorliegen.

Benachteiligungen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte betreffen die Personen in unterschiedlichem Maße, sind aber statistisch vielfach eindeutig nachweisbar. Auffällig ist zunächst, dass Bildungsabschlüsse von Jugendlichen mit Einwanderungsgeschichte niedriger sind, was in engem Zusammenhang mit der sozialen Selektivität des Bildungssystems steht (Jugendliche in ihrer Vielfalt).

Auch in Bezug auf den Arbeitsmarkt zeigen sich viele Unterschiede: Die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, ist deutlich niedriger als die von Deutschen. Sie betrug im April 2023 48 % gegenüber 65 % bei deutschen Staatsangehörigen. Zugleich ist ihre Arbeitslosenquote höher: Sie betrug 15 % bei Ausländer*innen und 5% bei deutschen Erwerbspersonen. Dabei ist die SGB II-Quote bei Ausländer*innen mit 21% besonders hoch (Deutsche 5%). Auffällig ist, dass ausländische Frauen deutlich seltener einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen als ausländische Männer: Während 48 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Deutschen Frauen und 52 % Männer sind, sind es bei ausländischen Beschäftigten 38 % Frauen und 62% Männer (Migrationsmonitor, Agentur für Arbeit 2023).

Ausländer*innen arbeiten um fast 20 % häufiger als Deutsche als ungelernte oder angelernte Fachkraft und Helfer*in (ebd.). Entsprechend üben sie häufiger körperlich belastende Tätigkeiten aus und sind häufiger in Leiharbeit und Minijobs tätig (IAB 2020: 1ff.). Frauen mit Migrationshintergrund sind überwiegend in sonstigen Service- und Dienstleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Pflegesektor beschäftigt (Kluß & Farrokhzad 2020: 29f.). Die im Vergleich schlechtere berufliche Stellung vieler Menschen mit Migrationshintergrund spiegelt sich auch in einer geringeren Entlohnung wider. Ihr individuelles Erwerbseinkommen beträgt im Schnitt knapp 300 Euro weniger als bei Menschen ohne Migrationshintergrund, bei Frauen ist diese Differenz noch größer (Destatis/WZB/BiB 2021: 290). Da Ausländerinnen – wie auch deutsche Frauen – zudem häufiger in Teilzeit arbeiten, ist ihr Armutsrisiko deutlich erhöht. Insgesamt war die Armutsgefährdungsquote von Menschen mit Migrationshintergrund 2021 mit 28,6 % mehr als doppelt so hoch wie von Menschen ohne Migrationshintergrund (Destatis 2021: 335).

Der Zugang zu einer Beschäftigung hängt maßgeblich von dem aufenthaltsrechtlichen Status ab. Bestimmte Personengruppen (Asylsuchende, Geduldete) können von Arbeitsverboten betroffen sein bzw. benötigen eine Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde, teils auch der Arbeitsagentur. Teils fehlt Migrant*innen für den Zugang zu reglementierten Berufen und zu qualifikationsangemessenen Vergütungen die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen. Insbesondere Migrantinnen sind häufig nicht qualifikationsangemessen beschäftigt. Anerkennungen von Berufsabschlüssen zahlen sich jedoch aus: Die Anerkennung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Abschlusses erhöht die Wahrscheinlichkeit der Einmündung in Beschäftigung nach drei Jahren um rund 25 Prozentpunkte und Menschen mit anerkanntem Abschluss erhalten auch 16 % mehr Lohn (IAB 2021: 5-6). Entscheiden sich Migrant*innen, eine Anerkennung zu beantragen, ist dies bei 53 % erfolgreich, 36 % der Antragstellenden mussten eine Ausgleichsmaßnahme dafür absolvieren. Nur bei 2 % wurde eine Anerkennung abgelehnt (BMBF 2019: 35). Dennoch ist die Quote derer, die eine Anerkennung beantragen, gering – sie liegt bei den Zugewanderten mit Berufsausbildung bei 16,6%, bei denen mit Hochschulabschluss bei 30,6% (Kluß & Farrokhzad 2020: 33).

Im Bereich der beruflichen Weiterbildung sind zugewanderte Menschen häufig benachteiligt. Sie erhalten seltener die Chance auf berufliche Weiterbildung (Fachkommission Integrationsfähigkeit 2020: 138). Nachqualifizierungsangebote für die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen sind zudem häufiger in Arbeitssegmenten vorhanden, in denen mehrheitlich Männer tätig sind (z.B. in Teilen des Handwerks) (Kluß & Farrokhzad 2020: 33), wodurch die Chancen für zugewanderte Frauen auf qualifikationsangemessene Beschäftigung noch geringer sind.

Grundsätzlich ist der Besuch von Sprach- und Integrationskursen die Voraussetzung für Arbeitsmarktintegration und Teilhabe. Er ist für viele, nicht jedoch für alle Migrant*innen kostenfrei möglich. Vor allem für Migrant*innen mit jüngeren Kindern ist der erfolgreiche Besuch von Sprachkursen stark abhängig von der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Kinderbetreuung. Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und der Versorgung der Familie ist für die meist weiblichen Betreuungspersonen schwerer zu erreichen, weil das Wissen über Kinderbetreuungsangebote oft zu Beginn des Lebens in Deutschland noch gering ist. Besonders für familiennachgezogene Migrantinnen ist das Risiko, trotz Bildungs- und Erwerbsmotivation längere Zeit in der Familienfürsorge zu verharren, erheblich (Kluß & Farrokhzad 2020: 11).

Nicht nur formale Zugangshürden und Bildungsunterschiede verringern Zugangschancen. Weitere Hürden entstehen durch Diskriminierungen bei Stellenbesetzungen. Namen, ethnische Zuschreibungen, (zugeschriebene) Religionszugehörigkeit und andere kulturelle Aspekte werden als Hauptgründe für Diskriminierung beschrieben. In besonderem Maße leiden Frauen mit Kopftuch unter Diskriminierung (Fachkommission Integrationsfähigkeit 2020: 164, Kluß & Farrokhzad 2020: 32f.).

Im Hinblick auf die Zielgruppe Menschen mit Einwanderungsgeschichte spielen demnach die Querschnittsthemen Gleichstellung der Geschlechter und Antidiskriminierung eine wichtige Rolle und sollten in Programmen und Vorhaben besondere Beachtung finden. Aber auch das Querschnittsthema Ökologische Nachhaltigkeit ist im gleichen Umfang relevant für die Zielgruppe wie für alle anderen Zielgruppen des ESF Plus. Aus- und Weiterbildungen in Berufen, die für den ökologischen Umbau der Gesellschaft gebraucht werden, dienen zugleich der Arbeitsmarktintegration der Zielgruppe und fördern ökologische Nachhaltigkeit. In Bezug auf die Beratung von Unternehmen und Soloselbstständigen sollte ökologische Nachhaltigkeit immer (mit) auf der Agenda stehen. Daneben wird es in Projekten für diese Zielgruppe auch um das Mainstreaming einer ökologisch nachhaltigen Umsetzung der Projekte gehen müssen.

Die genannten Aspekte geben erste Hinweise, worauf bei der Planung, Umsetzung und Auswertung von Programmen und Projekten geachtet werden sollte. Eine angemessene Berücksichtigung der Querschnittsthemen Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Ökologische Nachhaltigkeit und ihrer Verknüpfungen im ESF Plus führt dazu, dass Interventionen im ESF Plus der Zielgruppe Menschen mit Einwanderungsgeschichte in ihrer Vielfalt besser gerecht werden.


November 2023